Fast taubblind

Nun ist unser Grosser wohl endgültig ertaubt. Er, der früher bei jedem Knall, jedem Donnergrollen oder Schuss gleich rechtsumkehrt machte und in Panik nach Hause lief, reagiert nun überhaupt nicht mehr. Nicht einmal mehr mit einem kurzen Kopfheben .

Zudem sieht Janusz sehr schlecht. Bei hellem Sonnenschein und im Halbdunkel sieht er fast gar nichts. Der Grund dafür liegt bei einem beschädigten Nerv und machen kann man offenbar nichts. Am besten geht es noch an regnerischen Tagen, der Unterschied ist ihm dann deutlich anzumerken.

Die Kommunikation mit ihm ist nicht einfach, aber noch können wir ihn auf Spaziergängen freilassen und „zurückrufen“. Dazu stellen wir uns kerzengerade hin und wedeln mit dem linken Arm, den wir deutlich vom Körper weghalten, damit er ihn „flattern“ sieht. Das klappt ganz gut; er musste sich einfach daran gewöhnen, häufig zu uns zurückzuschauen. Natürlich lassen wir ihn nur auf Treidelwegen oder sonst an ganz sicheren Orten frei. Die Uferwege an den Kanälen sind meistens durch Gestrüpp, Hecken, Wälder, kleine Seitenflüsse oder -Kanäle begrenzt und bilden so eine natürliche Barriere. Das ist ideal um Janusz eine gewisse Bewegungsfreiheit zu geben.

Um sich allgemein zurechtzufinden hat er sich selbst gewisse Techniken beigebracht. Wenn wir irgendwo Unbekanntes anlegen, was ja die Regel ist, gibt es erst mal eine Runde an der Auszugsleine. Janusz checkt alles genau mit der Nase ab. Dann, sofern es verkehrssicher ist, lassen wir ihn frei. Er springt dann an Land, geht ein paar Meter und kommt wieder an Bord, um sogleich wieder rauszuspringen. Jedesmal geht er auf eine etwas grössere Distanz, kommt zurück und checkt so die Geographie aus und prägt sie sich ein. Cleveres Bürschchen!

Letzthin haben wir das Boot um eine halbe Bootslänge verlegen müssen und zogen es von Land aus und von Hand an die neue Position. Janusz war draussen bei mir und hat das Ganze nicht wirklich mitgekriegt. Prompt wolle er aufs Boot zurück, präzise dort wo zuvor der Einstieg war. Der Arme war total verwirrt; ich musste ihm helfen, den veränderten Standort zu finden. Auch wir lernen noch jeden Tag dazu, denn die Wohnsituation auf und am Wasser ist ja nicht ganz unproblematisch. Als ehemaliger guter und passionierter Schwimmer kommt er jetzt leicht in Panik, sobald er den Boden unter den Füssen verliert. Deshalb kommt er in brenzligen Situationen an die Leine oder kriegt die Schwimmweste umgelegt.

Ob seine Sehkraft noch weiter abnehmen wird, wissen wir nicht. Mit dem Gehör ging es jedenfalls rapide bergab. Wir bereiten uns jetzt schon auf einen völlig taubblinden Hund vor und versuchen, Situationen vorauszusehen und Veränderungen so vorzunehmen, dass er das nachvollziehen kann. Dazu gehören ganz grundsätzliche Dinge, an die man sonst gar nicht denken würde. So nimmt er nicht automatisch wahr, wenn wir unseren Aufenthalsort wechseln, auch innerhalb des Bootes nicht. Was die Kleine anhand von winzigen Signalen schon als Information zu unserem Verhalten oder Vorhaben wahrnehmen kann, geht völlig an ihm vorbei und wir müssen in vieler Hinsicht umdenken und ihn „informieren“.

Glücklicherweise hat er eine positive Grunddisposition und ist generell ein happy dog. Er kann immer noch übers ganze Gesicht strahlen und macht alles gerne mit. Er ist einfach glücklich wenn alle beisammen sind, kann sich aber auch mal ausklinken und geht an den kühlsten Ort im Boot um zu pennen. Zu seinem puren Glück ist das unser Bett, Hunde-win-win also.

Trotz all den Einschränkungen ist Janusz ein lebensfroher Hund und uns damit auch ein wenig ein Vorbild. Er lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Seine Welt ist seine Nase – oder seine Nase ist seine Welt. Und natürlich wir, seine Familie, die zu ihm hält, durch dick und dünn, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wir hoffen, dass das noch lange so bleiben kann, für ihn und für uns.

Autor: suzyintheflow

Of Swiss origin, living in France on a houseboat with husband and two dogs. Intends to travel all over the navigable waterways of Europe in the years to come. No specific plans but open to any adventure and curious about the people and the places waiting to be met!

6 Kommentare zu „Fast taubblind“

  1. Herzlichen Dank, liebe Suzy, für diesen herzergreifenden, wunderbaren Bericht. Von solchem Mitgefühl und erfinderischer Hilfe mögen viele fast taubblinde Menschen wohl träumen. Janusz dankt es euch mit seinem frohe Wesen und Vertrauen…, möge dieses für alle beglückende Verhältnis andauern…
    Liebe Grüsse und habt alle vier Spass auf dem Boot!
    Sylvia Haertle

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  2. Oh ja, dass kennen wir auch. Unser kleiner Cassy hat damals auch immer weniger hören und sehen können, kam aber gut damit zurecht.
    Linus jetzt hat seinen zweiten Kreuzbandriss und Patellaluxation hinter sich. Op ist gut verlaufen, drei Wochen Streckverband auch…jetzt muss er sich langsam wieder ans laufen ohne Verband gewöhnen. Treppen darf er noch nicht steigen. Felix, der Junghund, macht es ihm auch nicht leicht. Momentan bin ich heiser vom Dauerschimpfen, denn der FelixDackel hat seine Ohren stehts auf Durchzug, versteht nicht, dass Linus nicht spielen darf…aber, irgendwie schaffen wir das schon.
    Alles Gute euch. *wink*

    Gefällt 1 Person

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