3 oder 4 Wochen Ferien? Rucksack packen, Zelt unten dran hängen, Schlafsack obenauf, ab an den Bahnhof, gucken wohin der nächste Zug fährt, Ticket kaufen und weg bin ich! So haben meine allerersten Urlaube begonnen. Das war in den siebziger und achtziger Jahren. Damals gab es noch – gibt es vielleicht noch – Interrailabonnemente. Mit […]
3 oder 4 Wochen Ferien? Rucksack packen, Zelt unten dran hängen, Schlafsack obenauf, ab an den Bahnhof, gucken wohin der nächste Zug fährt, Ticket kaufen und weg bin ich!
So haben meine allerersten Urlaube begonnen. Das war in den siebziger und achtziger Jahren. Damals gab es noch – gibt es vielleicht noch – Interrailabonnemente. Mit denen konnten wir einen Monat lang kreuz und quer, völlig planlos, durch Europa fahren. In supervollen Zügen, auf kleinen Notsitzen oder in Abteilen für 6 Personen, vorzugsweise mit einer süditalienischen Familie; diese hatten stets Essen in rauen Mengen dabei und teilten das mit uns gerne. Vor allem freute es sie, dass eine Schweizerin so gut italienisch konnte. Den Mailänder Akzent sah man mir nach.
Heute noch liebe ich es, einfach drauflos zu fahren, meist mit minimaler Vorbereitung. Es ist wohl kein Zufall, dass ich jetzt mit einem Boot herumzigeunere. Allerdings habe ich schon ein wenig grössere Ansprüche als damals und wenn mal etwas nicht ganz rund läuft, gebe ich gerne zu, bin ich etwas weniger flexibel und nerve mich schneller als früher. Aber an irgend einem Ort anzukommen, der auf den ersten Blick unbedeutend erscheint und erst auf den zweiten Blick hin historische, kulturelle oder andere Bedeutung zu entdecken, das lieben wir.
So geschehen heute mit Génelard am Canal du Centre. Unser Kanalführer hat natürlicherweise den Fokus auf Anlegeplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Infos über die Möglichkeit Wasser-und Strom zu bekommen. Er gibt auch Auskunft über die eine oder andere Sehenswürdigkeit, beim Fahren sind wir jeweils so absorbiert von Schleusen und Plätze für die Nacht, da übersehen wir so Besuchstipps leicht. Über Génelard verliert er nur ein paar allgemeine Worte, trotzdem entdeckten wir ganz spannende Aspekte.
Das Hafenbecken von Génelard
Blick Richtung Schleuseneingang und Brücke
Génelard also: Die erste Sehenswürdigkeit konnte von uns nicht übersehen werden, denn vor der Ankunft im Hafenbecken durchfuhren wir einen über 500 Meter langen und tiefen Einschnitt, beiderseits mit abgeschrägten und mit Steinplatten gepflasterten Wänden und mit Baumbewuchs gekrönter Oberkante. Der Einschnitt scheint schmal, Boote können aber kreuzen. Trotzdem waren wir froh alleine drin zu sein. Dieser Kanalgraben wurde im frühen 19. Jahrhundert durch einen Hügel hindurch ausgehoben, als Abkürzung und um den Bau eines weiten Kanal-Bogens drumherum zu vermeiden. Ausgehoben und gebaut mit Schaufel und Pickel von einheimischen Arbeitern. Heute führt oben herum ein schöner Spazierweg mit vielen Informationen über Bau und Hintergründe.
Damalige Pläne
Kahn, gezogen von Menschen
Dieselbe Sicht von der historischen Aufnahme
Spaziergang im Wäldchen auf der Krete
Der Einschnitt
Die Kurve vor der Schleuse
Die Stadt war damals ein richtiger Industrie-und Warenumschlagsort. Hier in der Nähe wurden zum Beispiel in einem Steinbruch die Pflastersteine für Paris – les pavés de Paris – gebrochen und bearbeitet. Tausende und abertausende von Tonnen. Ein Viertel aller Pflastersteine in Paris stammten von hier und wurden in Génelard auf Frachtkähne verladen und in 20 Tagen nach Paris verfrachtet. Dank dem das Gebiet hier vor Millionen von Jahren ein flaches Meer war und dieses eine Lehmgrube nach der anderen zurückliess, entstanden grosse Ziegeleien hier, die ein riesiges Gebiet mit diesem Baustoff versorgte. Auch die bekannten glasierten Dachziegel im Burgund stammen aus dieser Gegend. Kohleminen und Schwermetall verarbeitende Betriebe gab es ebenfalls entlang dieses Kanalabschnitts. Heute ist das alles Geschichte, erklärt jedoch den Bau und die Bedeutung dieses Kanalsystems durch eine immer noch ländliche Gegend. Man sagt uns, an die 100 Lastschiffe passierten pro Tag jede einzelne Schleuse.
Typische Hausdächer, hier ein Dach in Beaune
Typisches Haus mit Backsteinelementen
Nochmals die typische, regionale Bauweise
Last but not least lag keine 100 Meter von hier, von wo ich das jetzt schreibe, im 2. Weltkrieg die Demarkationslinie. Diesseits der Kanalbrücke lag der „freie“ Süden, auf der anderen Seite das besetzte Frankreich. Ein kleines Museum hier erläutert diese Zeit und zeigt auf, wie schwierig und gefährlich das Leben damals für die Menschen war; rundum Unterdrückung, Verfolgung, Kontrollen, Mangel am Nötigsten, auseinandergerissen Familien, aber auch Widerstand, Kollaboration und geheime Hilfe von deutschen Soldaten an die Not leidenden oder flüchtenden, französischen Mitmenschen. Es ist lange her und gleichzeitig eben doch noch nicht so lange. Im kleinen Museum hörte ich einen Mann seiner Begleitung die Tafeln erklären, unter Erwähnung, wie alt er damals gewesen sei und woran er sich noch alles erinnern könne. Eindrücklich.
Das Schild des Museums der Demarkationslinie
Auf dieser Brücke war der übergang vom besetzten Frankreich zum Vichy-Frankreich
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