Ich mag Frankreich und seine Bewohner. Sehr. Wirklich. In all‘ den Facetten.
Wir fühlen uns wohl hier und sind ganz happy. Es ist ein schönes Land mit vielen unterschiedlichen Landschaften, tollen Städten, reichem Kulturerbe, spannender Geschichte und, last but not least, netten Menschen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Gesundheitssystem, und, wenn man sich ein bisschen eingewöhnt hat, ist sogar die ganze Bürokratie in Ordnung. Es gibt nichts zu klagen, wir sind total glücklich mit unserem Gastland und zufrieden mit unserer Wahl, hierher auszuwandern.
Es gibt jedoch eines, das ich nicht verstehe, total daneben finde und das mich butzehässig macht, jedes Mal, wenn ich damit konfrontiert werde: die Streiks.
So wie heute früh: Ich quäle mich frühzeitig aus dem Bett um nüchtern ins Labor zur Blutentnahme zu gehen und stehe vor verschlossener Tür. Da steht noch, man solle die Klinke kräftig drücken und dann ziehen. Ich drücke und ziehe, nichts, ich drücke nochmals, diesmal mit voller Kraft, und ziehe an der Tür. Sie weigert sich aufzugehen. Innen ist Licht und die Tafel informiert mich, dass ab 6 Uhr 30 geöffnet ist. Das war vor eineinhalb Stunden! Was zum Kuckuck?

Ein Mann geht vorbei und klärt mich auf:“Sie streiken, kam gestern Abend im Fernseher“. Nun, wir haben keinen Fernseher (hatten noch nie einen). Merde alors, oh, pardon: mince (ist etwas anständiger)! Da stehe ich EINMAL früh auf und dann so was auf nüchternen Magen, und erst noch in einem Quartier ohne Bäckerei. Ich stapfe zurück zum Boot, das heute früh so tief liegt wie noch nie. Kurze Akrobatik um einzusteigen und schnurstracks an die Kaffeemaschine. Ah, nach dem ersten Kaffee am Tag bin ich erst mich selber!
Ich verstehe diese Idee des Streikens nicht. Doch, eigentlich verstehe ich sie irgendwie schon. Es muss extrem frustrierend sein, als Bürger bloss irgendwelche machtgeile Politiker in irgendwelche Ämter wählen zu können, dann aber überhaupt nichts mehr zu sagen haben und alles, was die dann anstellen oder eben nicht, schlucken zu müssen. Wenn das Mass dann voll ist, wird die Bevölkerung, oder Teile davon, quasi in Geiselhaft genommen und es wird gestreikt oder demonstriert, oder beides. So macht es das Bahnpersonal, vorzugsweise zu Ferien-oder Feiertagsperioden, und nun das medizinische Personal. Ich verstehe die Anliegen (meistens), aber diese Streikerei läuft meiner schweizerischen Logik einfach zuwider. Vor allem wenn ich total nüchtern vor dem geschlossenen medizinischen Labor stehe und meinen fälligen Bluttest nicht machen lassen kann. Grrrh.
So, nun geht es mir etwas besser. Der zweite Kaffee ist nun auch getrunken, ich habe was Kleines im Magen und damit geht es mir wieder gut.
🇨🇵 VIVE LA FRANCE! 🇨🇵
Es gibt Augenblicke, da wünsche ich mir in Deutschland etwas mehr von der französischen Streik-Kultur. Vor allem, wenn es um gesamtgesellschaftlich relevante Themen (Stichworte: Pflege, Care-Arbeit) geht.
Aber meist bin ich auch etwas befremdet von der Dünnhäutigkeit der französischen Arbeitnehmer, vor allem wenn es um den Zeitpunkt der Rente geht, was vermutlich augenblicklich dort ein wunder Punkt ist, oder?
Ansonsten habe ich vollstes Verständnis für deinen Frust. Ich bin auch ohne Frühstück ein halber Mensch.
Herzliche Grüße nach Südwesten,
Anja
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Dem ist nichts hinzuzufügen – das sehe ich exakt genauso! Inklusive dem Verständnis für das Frühstücksproblen……Und dann auch noch derselbe Name? – Das ist unheimlich 😱. …antworte ich gerade mir selbst??? 😂😂😂 Herzliche Grüße
Auch Anja
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Oh ja, die Rentenfrage ist soeben um die Kurve gekommen! Es ist (mir) klar, dass die Errungenschaften in Frankreich zurückgestutzt werden müssen. Der Franzose wehrt sich und wird sich weiterhin vehement dagegen wehren. Da steht uns noch etwas bevor!
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Ojeeee ! Da steht ein Morgenmuffel mal frühmorgens auf und dann sowas ! Und das noch auf nüchternen Magen. Das geht gar nicht ! 🤪
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