In den Siebziger Jahren (des letzten Jahrhunderts, doch, doch!), ein paar Jahre nach den 68-iger-Krawallen in Paris, zu Ende der Hippiezeit, da war ich eine Jugendliche und junge Erwachsene. Die Jahre von Schulabschluss und Ausbildung war wie für die meisten Anderen eine äusserst prägende aber auch unbeschwerte Zeit. Klar hatten wir die ganzen Umbrüche hautnah miterlebt.Aber da ich und meine Jahrgangsgenossen uns schon nicht mehr die Köpfe blutig stossen mussten, das hatten ein paar Jahre vor uns andere getan, hatten wir eigentlich freie Fahrt. Dass man einfach so zusammenlebt ohne Trauschein war schon fast normal, so schnell wie möglich von Zuhause ausziehen auch, in Gruppen eine Wohnung zu bewohnen, alles Mögliche auszutesten und ab und zu gegen etwas demonstrieren gehen ebenfalls. Abgrenzung zum Bürgertum war wichtig und wurde sicht- und hörbar ausgelebt.
Heute denke ich oft an diese Zeiten. Unsere Sturm- und Drang-Jahre. Eine Jugend- und junge Erwachsenen-Zeit ohne jede technischen oder elektronischen Gadgets. Die Abende wurden in verrauchten Pinten verbracht oder an einem Lagerfeuer mit Gitarre unter Sternenhimmel unten am Fluss. Wir hatten noch viel Zeit und lebten in den Tag hinein. Ausser die Ausbildung abzuschliessen mussten wir fast gar nichts. Das bisschen Geld, das wir zu Verfügung hatten reichte für ein neues Paar Jeans und ein paar T-Shirts pro Jahr, für den Urlaub gab es billige Monatstickets für das gesamte europäische Bahnnetz. Ungeplant ging es einfach auf den nächsten Bahnhof, ein paar Scheine im Sack und viel Sorglosigkeit und Reiselust im Gepäck.
Tja. Bis dann der Moment kam, an dem die verschiedenen Lebenswege sich trennten. Für die meisten begann der Ernst des Lebens, plötzlich waren da feste Arbeitsstellen und etwas am weiteren Horizont Karriere- und Familienpläne. Nur einige wenige hatten’s noch nicht so richtig gecheckt. Darunter wohl ich.
Die Hippiekleider wurden zwar auch von mir abgelegt und verschwanden in einem Brockenhaus, aber den Kopf hatte ich immer noch in den Wolken. Keinerlei Ambitionen zum vernünftig werden meldeten sich, nach ein wenig herum jobben lernte ich meinen heutigen Mann kennen und ein Jahr danach fand ich mich in Nepal lebend wieder. Im Nepal der Nach-Hippiezeit. Es gab zwar immer noch eine ‚Freak-Street‘ wo die Rauchwolken auf der Strasse reichten um high zu werden. Es gab auch noch ein paar Gestrandete die ohne Geld und Energie nicht mehr vom Flower Power loskamen. Aber insgesamt war dieses Zeitalter bereits tempi passati.





Auf uns wartete konfliktbeladene Arbeit im Projekt und ein ziemlich rudimentärer Alltag. Es gab praktisch nichts ab Stange. Möbel und Kleider mussten wir machen lassen, die Nahrungsmittelversorgung erlitt immer wieder Krisen, die Post war unwahrscheinlich langsam, das Telefon funktionierte meist gar nicht und der Strom fiel oft stunden- wenn nicht tagelang aus. Bei guter Gesundheit zu bleiben war wichtig; Wasser musste gefiltert und alles auf Nummer sicher abgekocht werden. Die Armut fing gleich vor der Haustüre an, die fehlende Hygiene und kranke oder behinderte Menschen, die irgendwie zu überleben suchten, machten betroffen. Für uns war das Leben leichter. Entdeckten wir in einem Laden etwas, das wir vielleicht mal brauchen konnten, war es ratsam zuzugreifen; höchstwahrscheinlich würde das die einzige Gelegenheit für Jahre bleiben. Dabei konnte es sich um einen Schraubenzieher, einen kompletten Satz Tassen oder auch eine Rolle Toilettenpapier handeln! Das Leben war einfach und zugleich manchmal sehr kompliziert. Und es war toll! Diese Landschaft, die alten Königsstädte, die Sicht auf die Himalaya-Gipfel, die farbenfrohen Frauen, die Tempel und Brunnen! Nur die Affen mochte ich nicht. Sie waren frech und konnten auch mal zubeissen.
Die zwei Jahre in Nepal hatten es geschafft, gewisse Weichen für uns zu stellen und in uns einige Überzeugungen und Lebenseinstellungen wachsen zu lassen, die wir so vielleicht nicht hätten. Es ist eine Mischung aus Vertrauen (ins Karma?) und ein Bewusstsein, privilegiert zu sein. Diese Privilege legen mir Verantwortung auf. Heute noch. Es ist nicht selbstverständlich, dass es uns gut geht, unser Lebensstandard ist nicht einfach da und wir haben kein Recht, zu erwarten, dass es einfach immer so weitergeht. Wir haben eine Verantwortung gegenüber anderen Menschen, der Natur und dem Wohlergehen aller. Gerade in den letzten beiden Jahren ist noch eine wichtige Einsicht dazugekommen: Mehr macht nicht glücklicher, zurückschalten und teilen macht glücklich. Seit wir auf dem Boot leben, können wir das sehr gut üben und praktizieren. Dass wir auf einem Boot, in relativ beengten Verhältnissen, leben ist wohl auch nicht ein Zufall. Ich sehe das eher als fast logische Folge meiner Sturm- und Drangzeit und unserer Erlebnisse in Nepal.
Eben, sage ich doch: Ich hab den Kopf immer noch in den Wolken.
Oh, wieder ein wunderschöner Bericht, der mir sehr „heimelet“ – auch Nepal … Vielen Dank, liebe Suzy, für deine wundervollen Geschichten. Liebe Grüsse
LikeGefällt 1 Person
Danke dir für’s Lesen und das liebe Feedback. Habe ich schöne Erinnerungen an unsere wilden Jahre geweckt, was? Schönen Tag und 💕 Grüsse
LikeLike
… und das macht dich so sympathisch- liebe Suzy
Liebe Grüße, Peter
LikeGefällt 1 Person
Danke Peter, das sind aber besonders schöne Blumen!
LikeGefällt 1 Person