Wir sind Ausländer, Expatriates, Eingewanderte, Fremde, nicht von hier. Mein Mann schloss sein erstes Jahr in Frankreich Ende September ab, ich werde Ende November ein Jahr hier sein. Klar, wir sind NUR in Frankreich; also fast daheim, in Europa, gleiche Kultur, im Nachbarland.
Ich will das nicht überbewerten und ich will auch niemanden belehren, aber es ist nicht beinahe dasselbe wie daheim. Es ist auch nicht wie Urlaub. In den Ferien schlägt man sich meist nicht mit Ämtern herum, muss nicht irgendwelche Bescheinigungen beschaffen, oder sich den Durchblick durch die verschiedenen Prozeduren verschaffen. Man kommt an, hat bestenfalls ein wenig Sprachkenntnisse, wird als Gast betrachtet, man geniesst und entdeckt, und dann geht’s wieder heim.
Wenn man nie erlebt hat, was es bedeutet Ausländer zu sein, kann man auch nicht wirklich beurteilen, wie sich Ausländer im fremden Land fühlen und an welche Hindernisse oder Schwierigkeiten sie stossen könnten. Trotzdem haben fast alle eine Meinung wie sich Ausländer benehmen, integrieren, assimilieren sollen. Das nervt mich manchmal kolossal.
Es ist nicht das erste Mal, dass wir in einem anderen Land als unserem Heimatland leben. Unsere Auslandkarriere schliesst Italien, Nepal, Indonesien und eben jetzt Frankreich ein. Dazu haben wir mehrere Jahrzehnte in den jeweils beiden anderen Landesteilen der Schweiz verbracht, die kulturell und sprachlich nicht unsere Stammlande sind: mein Mann ist französischer Muttersprache und ich Deutschschweizerin. Jedes von uns hat lange Jahre in des Partners Landesteil verbracht, dazu lebten wir 12 Jahre gemeinsam im italienisch sprechenden Tessin.
So rückblickend bin ich selber erstaunt, dass ich insgesamt bald 40 Jahre meines Lebens an verschiedensten Orten verbracht habe, wo ich nicht «zu Hause» war! Und es werden immer mehr, jesdes Jahr.
Seltsamerweise fühlte ich mich kaum mal fremd, vielleicht in Nepal am meisten. Damals war Nepal noch ein Königreich, der König die Reinkarnation von Vishnu, ein devotes Land und ein Land mit grosser Armut und schlechter Infrastruktur. Aber auch ein Land mit faszinierender Geschichte, fantastischer Landschaften und völlig fremden Lebensstil und Benimmregeln. Wir waren da zum Arbeiten und das tägliche Leben war schnell mal, nun, alltäglich. Speziell, aber Alltag. Die Herausforderungen waren auch im Kathmandu-Tal immer mal wieder gross, ein rein westliches Leben mit allem Komfort nicht möglich. Es war spannend und Augen öffnend. Aber so richtig fremd habe ich mich auch da nicht gefühlt; sogar ein Leben unter exotischen Umständen wird irgendwann normal. Unzweifelhaft fielen wir als Weisse jedoch auf, betrachtet als reiche Leute, nicht in Sari gehend, nicht als Hindu oder Buddhist praktizierend, Milchprodukte konsumierend (wusstet ihr, dass Konsumenten von Milchprodukten unangenehm säuerlich riechen?), Rindfleisch essend…Wir konnten nie und zu keiner Zeit in der Masse verschwinden sondern lebten in einem Schaufenster. Wir lebten in Nepal, wurden aber keineswegs zwangsläufig langsam zu Nepali. Genauso wenig wir langsam zu Indonesiern wurden, obwohl wir da die Sprache gut gelernt hatten – Englisch war im Gegensatz zu Nepal keine Option – und noch näher bei den Leuten wohnten und arbeiteten. Am ehesten geprägt hat mich wohl aber meine Kindheit in Italien, das klingt heute noch nach. Obwohl, auch da gingen wir Kinder in die Schweizer Schule und zuvor hatte ich mich als Vierjährige geweigert in den von italienischen Nonnen geführten Kindergarten zu gehen. Dort mussten wir nämlich morgens als erstes ein Kreuz (inklusive den ans Kreuz geschlagenen Christus!), das vor der Brust der Chef-Nonne baumelte, küssen; das fand ich Stöpsel igitt, und da geh’ ich nicht mehr hin, basta. Schon damals eigensinnig. Dieses Intermezzo führte dazu, dass ich fortan in den französischen Kindergarten ging, der konnte ebenfalls zu Fuss erreicht werden. Die dritte Sprache als Vierjährige also.
Die Menschen hier in Frankreich hören meist sofort unseren Akzent heraus. Bei mir sowieso, aber auch bei meinem Waadtländer Mann. «Höre ich da un petit accent?» Ich gebe es sofort zu, bin Ausländerin! «Ah, de la Suisse ! Et vous vivez en France maintenant, et sur un bateau ! Cela doit être merveilleux. » Viel Wohlwollen begegnet uns. Patzer werden uns nachgesehen, hier nicht gebräuchliche Ausdrücke provozieren Heiterkeit, und Ratschläge werden gerne gegeben, man muss nur fragen.
Ja, es ist toll in Frankreich zu leben, aber wir sind nicht zu Franzosen geworden, werden es nie sein. Wohl übernehmen wir vielleicht nach und nach französische Angewohnheiten, finden die französische Kultur teils absolut toll und gehen darin auf, teils voll daneben und tun uns schwer damit, oder finden es besser wie wir es von daheim gewohnt sind. Ich frage mich nun, weshalb wir denn von Ausländern bei «uns» erwarten was wir selber kaum erbringen können oder wollen. Nicht einmal im selben europäischen Kulturkreis assimilieren wir uns vollständig! Wir erwarten von unseren Ausländern, dass sie uns toll finden, mit allem Drum und Dran, dass sie Käse-Fondue lieben lernen, in einen Verein eintreten, die Hautfarbe wechseln, ihre Kultur ruckzuck vergessen und akzentfrei Dialekt reden lernen. Wir meckern, weil sie zuhause stets tamilisch oder österreichisch kochen, weil sie in ihre Kirche, Tempel, Moschee möchten, weil sie Sehnsucht haben nach ihrem Heimatland und dessen Gepflogenheiten auch mal im Gastland ausleben möchten. Dabei kenne ich Landsleute, die im Ausland schweizerischer als Schweizer wurden, die peinlichst genau auf Traditionen achteten. Den einheimischen Angestellten einbläuten, wie man korrekt eine Röschti oder Zopf macht (für Nicht Schweizer: Rösti und ein butterhaltiges, geflochtenes Sonntagsbrot) und Spezialitäten von daheim einfliegen liessen.
Nicht, dass ich das alles nicht verstehe. Ich finde das sogar ziemlich normal. Nicht normal ist allerdings, dass man genau dasselbe Verhalten Ausländern bei uns zum Vorwurf macht. Die Syrische Familie tischt zu Hause ihr Nationalgericht auf, sitzt dazu auf dem Boden und isst mit der Hand? Na warum denn nicht, wir rühren ja auch mit angetrockneten Brotstücken in vergammelter Milch herum, und erst noch alle mit eigener Gabel in derselben blubbernden Masse.
Das einzige, das wir Alle tun müssen und von Allen auch erwarten dürfen, ist Respekt, Gesetzestreue, Toleranz, Empathie, Anstand und Gesprächsbereitschaft, und zwar gegenüber allen Menschen, egal welchen Geschlechts, Alters oder Herkunft. Auch der eigenen Familie gegenüber. Das sollen wir selber vorleben, wir dürfen dies klar machen und müssen es einfordern. Egal ob Einwanderer, Auswanderer, Flüchtling oder Tourist, dies sind wir unserem Menschsein schuldig.
Für alles Andere, wie ich schon mal gesagt habe: Es ist ganz gut möglich, zwei Hüte anzuhaben. Man muss nicht das Eine verleugnen um das Andere schätzen zu können. Konflikte sind normal und müssen anständig ausgetragen und geklärt werden. In diesem Sinn, keine Angst vor dem Fremden und Unbekannten, aber wehret der bräunlichen oder ganz und gar braunen Gesinnung.
Amen!
Persönlich finde ich es zwar wichtig, das „Gastland“ kennen zu lernen und zu respektieren und sich zu bemühen, besonders mit der Sprache. aber weshalb sollte man deshalb all seine eigenen Traditionen ablegen?!
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Genau, den eigenen Kultur-Rucksack kann man nicht einfach so bei Grenzübertritt ablegen. Aber man kann sich anpassen und Sprache lernen ist Ehrensache!
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