Freunde durch eine Ratte

Seltsamer Titel, nicht?

Tatsächlich haben wir vor ziemlich genau einem Jahr durch eine Ratte eine schöne Freundschaft geschlossen!
Wir sassen da so ganz gemütlich an Deck. Es war ein lauer Spätnachmittag, und wir genossen einen der fantastischen Sonnenuntergänge von Auxonne. Neben uns war ein Bootsplatz frei und daneben befand sich das Boot eines, tja, wie soll ich das jetzt nett sagen, eines etwas sehr unordentlichen Aussteigers. Schräg gegenüber lag ein Küstenboot mit einem englischen Paar, das genauso wie wir den Abend genoss.

Wie ich da so entspannt herum schaue, sehe ich auf dem Rand des verwahrlosten Bootes eine Ratte ganz unbekümmert die tausend Sachen, welche da herumlagen, inspizieren. Eine ganz gewöhnliche, graue Ratte. Ich zog unwillkürlich laut die Luft ein und gleichzeitig hörte ich die Leute gegenüber dasselbe tun. Wir schauten uns an und mussten alle lachen: „Have you just seen THAT?“ Ja, hatten wir. So kamen wir ins Gespräch und fanden uns alle vier sofort sehr sympathisch. Die beiden waren auf ihrem Syndicate Boat* und verbrachten die letzten Tage ihres Urlaubs in Auxonne, bevor sie das Boot in den Heimathafen zurück bringen mussten.

Am Ende tauschten wir unsere Koordinaten aus uns sind seither ständig in Kontakt geblieben. Wir haben sie diesen Mai wieder in Auxonne getroffen als wir uns vorbereiteten für die Sommer-Tour. Sogar zwei Mal, einmal auf ihrem Weg die Petite Saône hinauf und dann wieder auf ihrem Rückweg. Das Zusammensein mit den beiden fühlt sich einfach gut an und wir haben jede Menge Themen, obwohl wir völlig verschiedene Leben haben. Sie stehen noch voll im Berufsleben, haben Haus und Familie und stehen noch fest im aktiven Leben. Wir hingegen haben diese verschiedenen Kapitel hinter uns und sind vogelfrei mit unserem Boot unterwegs.

Wenn man auf einem Boot lebt wie wir, ist es einfach Leute kennenzulernen und vielleicht sogar 2, 3 Tage sich immer wieder an Land, auf dem Ponton oder dem Quai zu treffen, ein paar Worte wechseln oder sogar zusammen einen Kaffee oder ein Glas Wein auf einem der Decks zu trinken. Aber irgendwann ist das zu Ende, weil eines der Boote, oder sogar beide wieder ablegen und in verschiedenen Richtungen weiterfahren. Bis zu einem erneuten Treffen können Wochen, Monate oder auch Jahre vergehen. Wir Bootsleute haben fast alle Visitenkarten zur Hand, die wir einander übergeben können. Ganz wichtig: ein gutes Bild des jeweiligen Bootes auf der Vorderseite, zwecks Wiedererkennung. Mit einigen dieser Bekanntschaften ergeben sich möglicherweise Mail- oder Facebook-Kontakte, mit anderen nicht. Mit einem Leben als Boots-Nomaden sind jedoch intensiveres Kennenlernen und regelmässige Treffen praktisch ausgeschlossen.

Gerade deshalb finden wir es so toll, dass es mit unseren „Ratten“-Freunden so wunderbar anders ist! Auch nachdem sie wieder zurück nach Hause gefahren waren, tauschten wir ab und zu News aus. Wir wussten, sie würden im Oktober wieder für 2 Wochen auf ihr Boot kommen. Wir wussten aber auch, dass wir uns überhaupt nicht in ihrem üblichen Aktionsradius befinden, sondern viel weiter südlich davon sein werden. Am idealsten wäre es gewesen, sich auf halben Weg wenigstens zu einem Mittagessen zu treffen. Aber wir, ohne Auto und mit einem Boot im „Salon de beauté“, hatten wenig Hoffnung sie überhaupt treffen zu können.

Wir sahen uns trotzdem. Die beiden stellten ihre Route kurzerhand um, brausten auf ihrem Boot in den unbekannten Süden und blieben 2 Tage hier. Ich freute mich wie ein Kind auf sie, Mann radelte die 3 Kilometer zur Schleuse um sie ihnen vorzubereiten, damit sie gleich einfahren konnten und ich wartete auf der letzten Brücke vor dem Hafen und um ihre Ankunft zu dokumentieren. Zum Glück befinden wir uns an einem tollen, abwechslungsreichen Ort und die Fahrt hierher ist wirklich schön. Für Urlauber, welche sonst eher die viel kleinere Petite Saône oder die Kanäle befahren, ist der Fluss hier unten vielleicht etwas ungewohnt breit und träge. Aber auch dies hat seinen Reiz.

Über die zwei Tage hin trafen wir uns immer wieder. Sie kamen rechtzeitig an um den hübschen Wochenmarkt zu besuchen, wir lunchten zusammen, genossen einen Apéro riche bei uns auf der Terrasse des Hobbit-Häuschens, wir machten einen langen Herbstspaziergang unter den sich schon lichtenden Platanen dem Kanal entlang, machten Kaffeepause auf ihrem Deck und toppten das Ganze noch mit einem überraschend feinen Abendessen in einem der zahlreichen Restaurants in diesem ländlichen Städtchen. Es wurde viel geredet, gelacht und erzählt. Alle vier mögen wir ein feines Glas Wein und geniessen gutes, liebevoll zubereitetes Essen. Es war so schön, entspannt und lustig und nun sind wir wieder allein. Heute früh wurden wir verlassen. Jetzt habe ich gerade ein kleines Vakuum.

Für weitere Treffen werden wir in Zukunft etwas mehr Fantasie aufbringen müssen; Nordostfrankreich, Belgien, Holland und Deutschland liegen nicht gerade auf ihrer Anfahrtsroute ins Burgund. Aber ich bin sicher, wir werden das schaffen, auf die eine oder andere Art. Freundschaften muss man hegen und pflegen, besonders wenn sie durch ein Ratte bewirkt wurden!

Die Ratte war übrigens kein Haustier auf besagtem Boot und wir haben sie nie wieder gesehen. Der Bootseigner (siehe die 3 Harrys, Boot, Mann und Hund!) verbrachte den letzten Winter in unserer Nachbarschaft auf dem wintersicheren Ponton und sein Boot hat nach der Rattensichtung Lappen und Besen gesehen, und aufgeräumt hat er auch (ein wenig). Möglicherweise hatte er die Ratte auch gesehen und verstand das als klare Aufforderung zum Putzen und Aufräumen!

 

*Syndicate Boat. Ich habe keine Ahnung wie das auf deutsch heissen könnte: das sind Boote, die mehrere Besitzer haben und jeder dieser Besitzer hat auf eine Anzahl Wochen pro Jahr Anspruch, das Boot zu nutzen. Vielleicht kann mir mal jemand mit der richtigen Bezeichnung aushelfen?

Autor: suzyintheflow

Of Swiss origin, living in France on a houseboat with husband and two dogs. Intends to travel all over the navigable waterways of Europe in the years to come. No specific plans but open to any adventure and curious about the people and the places waiting to be met!

6 Kommentare zu „Freunde durch eine Ratte“

  1. Ratten sind halt sehr soziale Tiere 😂. Die hat genau gewusst, dass das passen könnte und ihr einen Schubser braucht.
    Ich glaube, einem deutschen erklärst Du es am besten mit dem englischen Wort „Timesharing“, das kennen sie von den Ferienwohnungen auf Mallorca. Oder du benutzt das sehr sperrige deutsche „Mehrbenutzerbetriebsart im Zeitanteilsverfahren“. Das ist aber mehr Amtsdeutsch, und obwohl ich dieses Kombination von Komposita sehr selbsterklärend finde, wird es doch keiner verstehen 😂.

    Gefällt 3 Personen

    1. Ja genau, Timesharing! Sehr deutsch natürlich, aber die korrekte deutsche Bezeichnung ist ja nicht zum Aushalten. Du hast recht mit der Ratte, das war vielleicht eine Kupplerratte, spezialisiert auf’s Freundschaften stiften.

      Gefällt 1 Person

  2. Lustige Geschichte und toll, dass sich da so eine gute Freundschaft entwickelt hat! Ich finde, dass das eher selten ist, egal ob auf dem Boot oder auf dem Land. Und ich kann mir vorstellen dass es als paar noch Schwieriger ist, da sich vier Personen, nicht nur zwei mögen müssen!

    Gefällt 1 Person

    1. Da hast du absolut recht! Meist ist es auch bei alten Freunden schwierig, diese (eventuell noch mit entsprechendem Partner) in eine Beziehung zu bringen. Aber man braucht nicht 100 Freunde, ein paar wirkliche Freunde für alle Lebenslagen sind schon toll und – so betrachte ich es – nicht selbstverständlich.

      Gefällt 1 Person

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